In
den letzten Jahrzehnten ist es unter deutschsprachigen Feministinnen
Mode geworden, dem Mond sprachlich eine weibliche Form zu geben und ihn
Mondin zu nennen.
Ausschlaggebend dafür ist einerseits, dass Frauen ihren Körper in
ständiger zyklischer Veränderung erleben und diese Veränderung
symbolisch im Mondzyklus wieder erkennen. Wir dürfen annehmen, dass der
Menstruationszyklus der Frauen einst mit den Mondphasen übereinstimmte.
Ohne künstliche Lichtquelle, die die Nacht erhellt und die Wahrnehmung
des Vollmondlichts verhindert, stellen sich Frauenkörper nämlich auf
den Wechsel des Mondlichts ein.
Der Vollmond löst den Eisprung aus, die Menstruation fällt in die
Zeit des Leermonds*. Diese Übereinstimmung ist bei Frauen in
Zivilisationen mit künstlichem Licht nicht zu beobachten. Frauen
menstruieren individuell in unterschiedlichsten Zeitabständen, den von
männlichen Medizinern propagierten idealen Abstand von achtundzwanzig
Tagen kennen nur die wenigsten.
Frauen von heute können ihren Menstruationszyklus daher nur auf symbolischer Ebene mit dem Mondzyklus verbinden.
Der zweite Grund ist in den griechischen und römischen
Mondgöttinnen zu suchen, mit denen sich Frauen identifizieren. In den
romanischen Sprachen ist der Mond ohnehin weiblichen Geschlechts: ital.
la luna, frz. la lune, etc. Die deutschsprachigen Frauen schufen sich
selbstbewusst die „Mondin“.
Luise F. Pusch schreibt:
„Die Hexe, die Mondin und die Farbe Lila sind, neben den mythischen
Frauengestalten, die wichtigsten Inspirationsquellen feministischer
Namensgebung. Dass die Mondin im Deutschen, gegen alle Vernunft und
guten Sitten, in männlicher Verkleidung - der Mond - auftritt, stört
dabei kaum: Entweder gibt frau ihr die richtige weibliche Gestalt
wieder, oder sie wählt romanische Sprachformen, oder sie bleibt
ungerührt beim Mond. Was schert's die Mondin, dass der Deutsche sie
maskulinisiert hat, sie ist trotzdem weiblich!“
Genau das darf bezweifelt werden - so offensichtlich, wie Pusch meint, ist das Geschlecht des Mondes nicht.
Was wir auch beim Wasser bzw. bei den Quellen feststellen, trifft
auch bei Sonne und Mond zu: Weder Elemente noch Himmelslichter haben
ein Geschlecht. Wenn wir ihnen eines zuweisen, muss eine
philosophische Überlegung dahinter stecken, die es sinnvoll erscheinen
lässt, sie mit den Eigenheiten und Fähigkeiten eines Geschlechts
symbolisch zu verbinden.
Welches Geschlecht sollen wir dem Mond zuweisen? Gibt es in Bezug
auf den Mond ein myhengeschichtlich älteres Geschlecht? Wäre dies das
„richtige"? Welche Umstände und Weltbilder bedingen das eine oder das
andere? Diese Fragen beschäftigen mich seit über zwanzig Jahren.
Offensichtlich gab es beides: Die Kulturen des Zweistromlandes, des
Vorderen und Mittleren Orients und Ägyptens kennen Mondgötter, die
griechischen, römischen und keltischen Mythen Mondgöttinnen. Die
nordisch-germanischen Mythen weisen einen Mondgott auf und scheinen
somit aus dem europäischen Rahmen zu fallen.
Spannende Ansichten hierzu hat Gerda Weiler im zweiten Band ihrer
feministischen Anthropologie formuliert. Sie sucht als erstes eine
Antwort auf die Frage, wer ein Interesse haben könnte, den Mond zu
beobachten. Dieser Zugang erscheint mir viel versprechend, denn reale
Beobachtung ist die Voraussetzung, um Analogien wahrnehmen zu können
und daraus symbolische Entsprechungen zu bilden.
Weiler sieht im Unterschied des Fortpflanzungsverhaltens weiblicher
Tiere zu Menschenfrauen einen wesentlichen Kultur bildenden Impuls. Das
Fortpflanzungsverhalten der Tiere wird durch den Östrus, d.h. die
Brunst, den durch Hormone gesteuerten regelmäßigen Paarungstrieb,
angeregt; der zugleich bestimmt, dass die Jungtiere zu einem für ihr
Überleben günstigen Zeitpunkt geboren werden. Für die Menschenfrau,
die zu allen Zeiten des Jahres empfänglich für eine Schwangerschaft
ist, muss es zentral gewesen sein, einerseits ihren Zyklus zu erkennen
und andererseits ein Kalenderwissen zu entwickeln.
Sie musste ein sensibles Gleichgewicht wahren, nämlich nur so viele
Kinder zu gebären, wie sie und ihre Sippe in ihrem Lebensraum ernähren
konnten. Und sie musste versuchen, so zu empfangen, dass sie ihr Kind
zu einem günstigen Zeitpunkt zur Welt bringen konnte.
Weiler formuliert die spannende These, dass die Befreiung vom Östrus die Frau vor neue geistige Aufgaben stellte.
Welches Himmelslicht eignet sich als Grundlage für einen ersten
Kalender? Die Jahreszeiten werden durch den Sonnenweg bestimmt.
Folgerichtig sei es für die Frauen der Altsteinzeit wichtig gewesen,
den Sonnenlauf zu beobachten und die Sonnenwenden und
Tagundnachtgleichen zu bestimmen, um sich im Jahreslauf orientieren zu
können. Der Mond mag zwar als Orientierungshilfe gedient haben, um
kurze Zeitspannen zu bestimmen - man traf sich vielleicht am
Vollmondtag oder am Tag nach dem nächsten Sichelmond -, aber für eine
Kalenderordnung eignet der Mond sich denkbar schlecht. Von Vollmond zu
Vollmond vergehen exakt 29 Tage, 12 Stunden, 44 Minuten und 2,9
Sekunden. Diese Zeitspanne lässt sich mit den Tagen des Sonnenjahres -
die für die Jahreszeiten und somit das Nahrungsangebot ausschlaggebend
sind - nicht in Übereinstimmung bringen.
Weiler ist überzeugt, dass für die Frauen der Altsteinzeit die
Kenntnis des Sonnenkalenders wichtig war, und der Mond nur zusätzlich
zur Bestimmung einzelner Tage herangezogen wurde.
Sie vertritt damit bewusst eine konträre Ansicht zur
Frühgeschichtsforscherin Marie E. P. König. Das unbestrittene
Verdienst Königs (1899-1988) war, dass sie die Auffassung der
etablierten Wissenschaft ihrer Zeit widerlegte, die eiszeitliche Kunst
sei der Ausdruck von Jagdzauber und Fruchtbarkeitsmagie. Aus den
künstlerischen Hinterlassenschaften der Urmenschen schloss sie auf
deren Bemühen, sich in Raum und Zeit zu orientieren und ihr Weltbild in
Symbole zu fassen. Soweit decken sich die Ansichten Königs und
Weilers.
Marie König deutete die Tierbilder und abstrakten Zeichen der
Höhlenkunst wie die Malereien von Lascaux in Zusammenhang mit einem
Mondkalender. Weiler ist überzeugt, dass eine Kalenderordnung nach dem
Mond aus den Felsbildern der Altsteinzeit nicht ablesbar sei. Die
Höhlenmalereien zeugten allein davon, wie sehr das Sterben des Mondes
die Menschen bewegt und zu spirituellen Deutungen herausgefordert habe.
Weiler formuliert ihre Erkenntnis nicht nur Jahre nach König, sie
kannte auch die Arbeit von Marija Gimbutas, deren Bücher in englischer
Sprache vorlagen.
Marija Gimbutas betrachtet die alteuropäische Göttin als Schöpferin
allen Lebens und ist überzeugt, ihre Kraft offenbare sich in Quellen
und Bächen, im Mond, in Sonne und Erde und in allen Tieren und
Pflanzen. Wohlgemerkt: Die Göttin ist nicht der Mond, es ist ihre
Kraft, die sich im Mond offenbart. Sie ist nicht personifizierter Mond, also Mondgöttin, sondern Schöpferin des Mondes, und sie gebietet über seine Kraft.
In
der Venus von Laussel dürfen wir eben diese Göttin sehen. Das
Halbrelief zeigt eine Frauengestalt, die in ihrer rechten Hand ein
Horn mit dreizehn Einkerbungen trägt. Ihr Gesicht wendet sie dem Horn
zu. Die dreizehn Kerben stehen für je dreizehn Nächte, an denen der
Mond sichtbar zu- oder abnimmt. Dazwischen liegt die Vollmondnacht. In
drei aufeinander folgenden Nächten bleibt der Mond unsichtbar, die
Schwarzmondphase beinhaltet den astronomischen Neu- bzw. Leermond. Das
Felsbild stammt aus der Zeit zwischen 20000 und 18000 v.u.Z. und wurde
in Eyzies, im Departement Dordogne in Frankreich gefunden.
Die Göttin ist keine Mondgöttin, sondern sie gebietet über die Mondphasen.
Dass Höhlendarstellungen von Tieren wie Bisons, die von Pfeilen
getroffen werden, nicht Jagdmagie zum Ausdruck bringen sollen, hat
König richtig erkannt. Die horntragenden Tiere haben eine
Symbolverbindung zum Mond; Mondtiere, die vom Pfeil getroffen werden,
zeigen also den sterbenden Mond.
Weiler gibt zu bedenken, immer wenn ein Mensch dem sterbenden
Mondtier zugeordnet ist, handle es sich um einen Mann, niemals um eine
Frau.
Die Kombination Bison-Mann begegnet uns im Charente- und
Dordogne-Gebiet viermal. Dreimal in der Höhlenkunst: In Le Roc-de-Sers
befindet sich das älteste Zeugnis, das aus dem jüngeren Solutréen
stammt, etwa 17000 v.u.Z., dann folgen Villars und Lascaux, die
zwischen 15000 und 12000 angesetzt werden. Das vierte Beispiel ist in
ein Objekt aus Rentiergeweih graviert.
Die Frage „Ist der Mond der Eiszeitkultur männlich oder weiblich?",
beantwortet Weiler unmissverständlich: „Eindeutig männlich ist der
Mond, wenn ein Mann sich in ein Tierfell kleidet und zum Mondtier
wird. Er trägt die Hörner des Mondes und ist meist mit einem
übermächtigen Phallus ausgestattet." (Vgl. auch Minotaurus, Kreta: Der Mann als Stier verkleidet – mit der Stiermaske – symbolisiert den Mond.)
König war (am Beispiel des Bildes im Brunnenschacht der Höhle von
Lascaux) der Ansicht, der aufgerichtete Penis des Mannes sei als
Zeichen seiner Potenz, neues Leben zu erschaffen, zu werten. Denn der
Penis sei das einzige, das aktiv handelnd (allerdings ohne Partnerin)
in Erscheinung trete. Weiler betont dagegen, dass im Angesicht
seines Todes nicht die Zeugungskraft des Mannes gefragt sei, sondern
die Wiedergeburtskraft des Weiblichen. Die übergeordnete Macht, die
Wiedergeburt verspricht, sei zweifellos weiblich. Und der Mann ist als
Geschöpf der Göttin zu betrachten.
Der Mann in Lascaux ist somit identisch mit dem sterbenden Bison
(auf der rechten Seite), aber auch mit dem Nashorn (auf der linken
Seite), dessen Horn symbolisch für den Beginn des neuen Mondzyklus
steht. Das Kultbild vermittelt das Mysterium des Todes und das Wissen
um Wiederauferstehung entsprechend dem Wiedererscheinen des Mondes als
neue Mondsichel.
Indem Weiler die Sterblichkeit des Mannes mit dem Sterben des Mondes
in Verbindung bringt, benennt sie eine Weltsicht, die sich nahtlos in
den sterblichen Mondgöttern der Bronzezeit fortsetzt.
Wie ließe sich in dieses Gedankengebäude die Beobachtung einfügen, dass Frauen dem Mondzyklus entsprechend menstruierten?
Demnach waren Frauen in der Phase des Schwarzen Mondes (sowie
etliche Tage davor und danach) nicht empfängnisbereit. Das Abnehmen
und Verschwinden des Mondes, sein Sterben, steht offensichtlich nicht
in Verbindung zur realen Sterblichkeit. Weder sterben Männer oder
Frauen vermehrt bei Leermond, noch sterben Frauen vermehrt, wenn sie
menstruieren.
Wir können davon ausgehen, dass die Menschen die Schöpferinnenkraft
einer Göttin erkannten, die sie aus der Tatsache ableiteten, dass alles
Leben durch Frauen oder weibliche Tiere in die Welt geboren wurde.
Wenn nun die Frauen bei Schwarzmond menstruierten, was tat dann die Göttin zu dieser Zeit? Sie menstruierte ebenfalls.
Der Ethnologe Robert Briffault fasst den Mond als Gatten der
kosmischen Göttin auf. Und Weiler fügt hinzu, der Mond sterbe, wenn die
Göttin menstruiert. Die Himmelsgöttin bewirke die Wiedergeburt des
Mondes. Das Männliche unterliege dem Rhythmus von Tod und
Wiedergeburt. Die Himmelsgöttin allein sei ewig. Wenn sie menstruiere,
sterbe sie nicht; aber der Mondgott sterbe, wenn sie blute.
Als
Beleg, dass die Frauen der Eiszeit den Mond abhängig von der kosmischen
Göttin gesehen haben, führt Weiler ein Felsbild aus der
Ignatiewskaja-Höhle im Ural an. Zwischen dem Bison, einem Mondtier, und
der Göttin besteht eine kaum unterbrochene Linie aus Punkten, eine
Verbindung zwischen der Göttin und dem männlichen Mond. Er stirbt, weil
die Göttin menstruiert. Vielleicht kündet das Bild sogar vom
eiszeitlichen Verhütungswissen der Frauen. Die fünf Punkte links und
die vier Punkte rechts unter der Göttin könnten die Tage markieren, die
die Frauen jeweils vor und nach der Mensis als empfängnisfreie Tage
erkannt haben.
Vorläufig ist nur diese Darstellung bekannt, die den Gedanken nahe
legt, dass Frauen ihren Zyklus berechnet haben. Weiler meint, eine
Entwicklungsgeschichte des Mondsymbols, die den allmählichen
Machtzuwachs des männlichen Prinzips spiegelt, erkennen zu können. Der
Tote von Lascaux sterbe, um wiedergeboren zu werden. Er habe keine
Macht über Leben und Tod, verkörpere weder den „Geist des Wachstums"
noch die „Vegetation". Anheimgegeben an die Wiedergeburtskraft der
Göttin, so trete uns der Mondgott aus der Altsteinzeit entgegen.
Weiler sieht in der Indoeuropäisierung (gewaltsame
Patriarchalisierung) Alteuropas durch wandernde Steppenvölker einen
wichtigen Faktor für die Dominanz des Männlichen. Aber sie betrachtet
die Differenz zwischen den sesshaften Sippen, die um die weibliche
Lebensordnung gruppiert sind, und den Junggesellengruppen, die am Rand
der Gesellschaft leben und wandern, weil sie nicht integrierbar sind,
als Grundphänomen urzeitlicher menschlicher Lebensweise. Genau diese
Differenz ortet Weiler nicht nur in den indoeuropäischen Kulturen,
sondern in jeder urzeitlichen Kultur.
Die Eigenmacht des Mondgottes nimmt im Verlauf der
Patriarchalisierung zu: Stand der Mond in der Frühzeit Ägyptens der
Himmelsgöttin als Messinstrument zur Verfügung, so wird er im Lauf der
patriarchalen Bewusstseinsentwicklung zum Herrn über die Zeit.
Der Bruch in der Symbolverbindung Mann-Mond wird durch das
Aufeinanderprallen der alteuropäischen und der indoeuropäischen Kultur
ausgelöst bzw. verstärkt. Dieser Bruch ist für Frauen, die sich eine
feministische Betrachtungsweise angeeignet haben, höchst
aufschlussreich. Denn er ist ein Symptom dafür, dass Frauen nicht mehr
als Schöpferinnen wahrgenommen, sondern mit dem sterblichen Mond, der
sein Licht passiv von der aktiven Sonne leihen musste, assoziiert
wurden.
Beruhend auf diesem radikalen Verlust von Schöpferinnenqualität haben Frauen begonnen, sich mit dem Mond zu identifizieren.
Die Sonne war in der Kultur Alteuropas laut Marija Gimbutas ein
Symbol der Lebenserneuerung und eine (unter vielen und nicht die
wichtigste) Erscheinungsform der Göttin der Lebenserneuerung.
Die weibliche Form der Sonne in keltischen, germanischen, baltischen
und slawischen Sprachen ist aus der Tradition des Alten Europa
übernommen. Demgegenüber ist in der indoeuropäischen Tradition die
Sonne das wichtigste Symbol, das mit dem Gott des strahlenden Himmels
assoziiert wird, der ein Jahresgott ist und die Geburt der Sonne
(Winter), die junge Sonne (Frühling), die siegreiche Sonne (Sommer) und
die alte Sonne (Herbst) symbolisiert. Den Wandel dieser
Symbolbedeutung hat Barabara Hutzl-Ronge in Feuergöttinnen, Sonnenheilige, Lichtfrauen, (S. 90-149) beleuchtet.
Ihr Beitrag zum feministischen Diskurs über den Mond besteht
darin, Fragen zu stellen und sie auf Grund mythologischen Materials
zumindest teilweise zu beantworten:
- Welche Kulturen betrachten einen Gott oder eine Göttin als Erscheinungsform des Mondes?
- Wo gebiert die Göttin den Mond, gebietet über ihn und seine Kräfte?
- Wo ist sie der Mond, wird als Personifikation des Mondes angesehen?
- Wo hat die Göttin noch Schöpferinnenkraft, wo ist sie passives Geschöpf?
- Wo kommt dem Mond bzw. der Mondgöttin nur mehr die passive, das Licht des männlichen Sonnengottes reflektierende Funktion zu?
Befreites Denken - Ein Wellenritt als persönliches Fazit
Während ich an den Mondkapiteln arbeitete, beschlichen mich
einerseits Genugtuung, andererseits Furcht. Die Genugtuung ist schnell
erklärt. Meine Annahme, dass Mondgötter mythengeschichtlich älter als
ihre Kolleginnen Mondgöttinnen sind, bestätigte sich bei genauer
Betrachtung des Materials.
Immer deutlicher traten mir Mondgötter aus den Mythen entgegen.
Auch hatte ich bemerkt, dass das Mondgöttinnendasein häufig einen
Haken aufwies, der es nicht so richtig erstrebenswert machte, es fehlte
ihm irgendwie an Göttlichkeit. Auch dies fand ich bestätigt. Die
wenigen verbliebenen Mondgöttinnen verloren an Glanz, ihr Image
bröckelte gewaltig.
Meine Furcht ist ebenfalls verständlich. In einer patriarchal
orientierten Gesellschaft, deren Denken linear und deren Ziel es ist,
schnellstmöglich von A nach B zu gelangen, ist der sich wandelnde Mond
ein wunderbares Sinnbild für Frauen geworden, um zyklische
Körpererfahrungen zum Ausdruck zu bringen.
Wenn wir zusätzlich in Betracht ziehen, dass das lineare Denken uns
mit Riesenschritten auf einen ökologischen Kollaps zusteuert, dann ist
der Wunsch nach einer zyklischen Betrachtungsweise - wie sie uns durch
die Natur nahe gelegt wird - als Alternative überzeugend.
Trotzdem frage ich: Muss der Mond deswegen weiblich sein? Und
fürchte, dass die Entrüstung der Frauen einer Welle gleich über mir
zusammenschlägt, da sie so viele Gefühle und Träume mit einer Mondin
verbunden haben.
Doch bevor eine Welle sich überschlägt, können Kundige - manchmal faszinierend lange - auf ihr surfen.
Wenn wir unsere Emotionen beiseite lassen, könnte uns gedanklich ein
Wellenritt gelingen, der unser Denken befreit und uns ein
entscheidendes Stück weiterbringt.
Meine geistige Surfausrüstung habe ich mir durch die astrologische
Arbeit angeeignet. In der westlichen Astrologie herrscht nämlich die
Auffassung, dass die männliche Sonne im Horoskop einer Person ihr
Ichbewusstsein, ihren Geist und ihren Wesenskern symbolisiert. Wenn
eine Frau ihr Ichbewusstsein stärkt oder ihrem Wesenskern entsprechend
sich entwickelt, dann bringt sie, logischerweise, männliche Energien -
oft der „männliche Anteil ihrer Persönlichkeit" genannt - zum Ausdruck.
Der weibliche Mond hingegen symbolisiert unsere emotionalen
Bedürfnisse und unsere Bedürftigkeit, das, was wir uns wünschen,
geschenkt zu bekommen. Ist davon die Rede, dass ein Mann auf seine
Bedürfnisse achten soll, dann heißt es im psychologisch-astrologischen
Fachjargon schnell, er solle lernen, seine „weibliche Seite" zu leben.
Angesichts dieser Geschlechtszuweisungen sträuben sich mir nicht nur
alle Nackenhaare, da protestiert vom Zeh bis zum Scheitel einfach
alles. Beide Gestirne symbolisieren unterschiedliche Qualitäten, die
Frauen wie Männer - je nach Zeichen- und Häuserstellung im Horoskop -
zum Ausdruck bringen möchten.
Wenn ich als Astrologin es schaffe, Sonne und Mond von ihrer
Geschlechtszugehörigkeit zu befreien, damit ich meinen KlientInnen in
die Augen schauen kann, ohne - kritisch feministisch betrachtet -
Unsinn zu verbreiten, müsste es auch nicht astrologisch geschulten
Frauen möglich sein, darauf zu verzichten.
Mal ehrlich: Was bringt uns ein weiblicher Mond, der seine
veränderliche Form ja nicht aus sich selber schafft, sondern als
Resultat seines Standes zur Sonne zeigt?
Was ist toll daran, Weiblichkeit mit dem passiven, das Sonnenlicht reflektierenden Licht des Mondes zu identifizieren?
Haben da nicht schon wieder Männer die erstrebenswertere
Identifikationsmöglichkeit mit der Bewusstsein verkörpernden, aktiven
Sonne, von deren Wärme alles Leben auf dieser Erde abhängt?
Gewönnen wir etwas, wenn wir die Geschlechtszuweisung einfach
umkehrten? Oder sollte sie nicht mehr notwendig, womöglich einfach
nicht mehr zeitgemäß sein?
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* Leermond – Für den nicht beleuchteten, den
unsichtbaren Mond verwendet Barbara Hutzl-Ronge die Bezeichnung
Leermond, um ihn von der neu erscheinenden Mondsichel, dem Neumond, zu
unterscheiden.
Quelle:
Gekürzter Text aus Quellgöttinnen, Flußheilige, Meerfrauen,
von Barbara Hutzl-Ronge mit eigenen Anmerkungen. Barbara Hutzl-Ronge
bringt in ihrem Buch etliche Beispiele aus der Mythologie verschiedener
Völker über die Mondsymbolik, die ihr im Buch selber nachlesen müsst :-)
Website: http://www.hutzl-ronge.ch/
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Mama ermunterte uns Mädchen bei jeder Gelegenheit "zur Sonne zu
springen". Wenn wir auch nicht auf der Sonne landeten, so kamen wir
immerhin vom Erdboden los. Zora Neale Hurston
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