27.03.2007

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Der Mond oder die Mondin? Ein feministischer Diskurs drucken versenden

In den letzten Jahrzehnten ist es unter deutschsprachigen Femini­stinnen Mode geworden, dem Mond sprachlich eine weibliche Form zu geben und ihn Mondin zu nennen.

Ausschlaggebend dafür ist einerseits, dass Frauen ihren Körper in ständiger zyklischer Veränderung erleben und diese Veränderung symbolisch im Mondzyklus wieder erkennen. Wir dürfen annehmen, dass der Menstruationszyklus der Frauen einst mit den Mondphasen übereinstimmte. Ohne künstliche Lichtquelle, die die Nacht erhellt und die Wahrnehmung des Vollmondlichts verhindert, stellen sich Frauenkörper nämlich auf den Wechsel des Mondlichts ein.

Der Voll­mond löst den Eisprung aus, die Menstruation fällt in die Zeit des Leermonds*. Diese Übereinstimmung ist bei Frauen in Zivilisationen mit künstlichem Licht nicht zu beobachten. Frauen menstruieren individuell in unterschiedlichsten Zeitabständen, den von männlichen Me­dizinern propagierten idealen Abstand von achtundzwanzig Tagen kennen nur die wenigsten.

Frauen von heute können ihren Menstrua­tionszyklus daher nur auf symbolischer Ebene mit dem Mondzyklus verbinden.

Der zweite Grund ist in den griechischen und römischen Mond­göttinnen zu suchen, mit denen sich Frauen identifizieren. In den romanischen Sprachen ist der Mond ohnehin weiblichen Geschlechts: ital. la luna, frz. la lune, etc. Die deutschsprachigen Frauen schufen sich selbstbewusst die „Mondin“.

Luise F. Pusch schreibt:

„Die Hexe, die Mondin und die Farbe Lila sind, neben den mythi­schen Frauengestalten, die wichtigsten Inspirationsquellen feministi­scher Namensgebung. Dass die Mondin im Deutschen, gegen alle Vernunft und guten Sitten, in männlicher Verkleidung - der Mond - auftritt, stört dabei kaum: Entweder gibt frau ihr die richtige weibliche Gestalt wieder, oder sie wählt romanische Sprachformen, oder sie bleibt ungerührt beim Mond. Was schert's die Mondin, dass der Deutsche sie maskulinisiert hat, sie ist trotzdem weiblich!“

Genau das darf bezweifelt werden - so offensichtlich, wie Pusch meint, ist das Geschlecht des Mondes nicht.

Was wir auch beim Wasser bzw. bei den Quellen feststellen, trifft auch bei Sonne und Mond zu: Weder Elemente noch Himmelslichter haben ein Geschlecht. Wenn wir ihnen eines zuwei­sen, muss eine philosophische Überlegung dahinter stecken, die es sinnvoll erscheinen lässt, sie mit den Eigenheiten und Fähigkeiten eines Geschlechts symbolisch zu verbinden.

Welches Geschlecht sol­len wir dem Mond zuweisen? Gibt es in Bezug auf den Mond ein myhengeschichtlich älteres Geschlecht? Wäre dies das „richtige"? Welche Umstände und Weltbilder bedingen das eine oder das andere? Diese Fragen beschäftigen mich seit über zwanzig Jahren.

Offensichtlich gab es beides: Die Kulturen des Zweistromlandes, des Vorderen und Mittleren Orients und Ägyptens kennen Mondgötter, die griechischen, römischen und keltischen Mythen Mondgöttinnen. Die nordisch-germanischen Mythen weisen einen Mondgott auf und scheinen somit aus dem europäischen Rahmen zu fallen.

Spannende Ansichten hierzu hat Gerda Weiler im zweiten Band ihrer feministischen Anthropologie formuliert. Sie sucht als erstes eine Antwort auf die Frage, wer ein Interesse haben könnte, den Mond zu beobachten. Dieser Zugang erscheint mir viel versprechend, denn reale Beobachtung ist die Voraussetzung, um Analogien wahrnehmen zu können und daraus symbolische Entsprechungen zu bilden.

Weiler sieht im Unterschied des Fortpflanzungsverhaltens weiblicher Tiere zu Menschenfrauen einen wesentlichen Kultur bildenden Impuls. Das Fortpflanzungsverhalten der Tiere wird durch den Östrus, d.h. die Brunst, den durch Hormone gesteuerten regelmäßigen Paarungstrieb, angeregt; der zugleich bestimmt, dass die Jungtiere zu einem für ihr Überleben günstigen Zeitpunkt geboren werden. Für die Menschen­frau, die zu allen Zeiten des Jahres empfänglich für eine Schwan­gerschaft ist, muss es zentral gewesen sein, einerseits ihren Zyklus zu erkennen und andererseits ein Kalenderwissen zu entwickeln.

Sie musste ein sensibles Gleichgewicht wahren, nämlich nur so viele Kin­der zu gebären, wie sie und ihre Sippe in ihrem Lebensraum ernähren konnten. Und sie musste versuchen, so zu empfangen, dass sie ihr Kind zu einem günstigen Zeitpunkt zur Welt bringen konnte.

Weiler for­muliert die spannende These, dass die Befreiung vom Östrus die Frau vor neue geistige Aufgaben stellte.

Welches Himmelslicht eignet sich als Grundlage für einen ersten Kalender? Die Jahreszeiten werden durch den Sonnenweg bestimmt. Folgerichtig sei es für die Frauen der Altsteinzeit wichtig gewesen, den Sonnenlauf zu beobachten und die Sonnenwenden und Tag­undnachtgleichen zu bestimmen, um sich im Jahreslauf orientieren zu können. Der Mond mag zwar als Orientierungshilfe gedient haben, um kurze Zeitspannen zu bestimmen - man traf sich vielleicht am Vollmondtag oder am Tag nach dem nächsten Sichelmond -, aber für eine Kalenderordnung eignet der Mond sich denkbar schlecht. Von Vollmond zu Vollmond vergehen exakt 29 Tage, 12 Stunden, 44 Minuten und 2,9 Sekunden. Diese Zeitspanne lässt sich mit den Tagen des Sonnenjahres - die für die Jahreszeiten und somit das Nahrungs­angebot ausschlaggebend sind - nicht in Übereinstimmung bringen.

Weiler ist überzeugt, dass für die Frauen der Altsteinzeit die Kenntnis des Sonnenkalenders wichtig war, und der Mond nur zusätzlich zur Bestimmung einzelner Tage herangezogen wurde.

Sie vertritt damit bewusst eine konträre Ansicht zur Frühgeschichts­forscherin Marie E. P. König. Das unbestrittene Verdienst Königs (1899-1988) war, dass sie die Auffassung der etablierten Wissenschaft ihrer Zeit widerlegte, die eiszeitliche Kunst sei der Ausdruck von Jagd­zauber und Fruchtbarkeitsmagie. Aus den künstlerischen Hinter­lassenschaften der Urmenschen schloss sie auf deren Bemühen, sich in Raum und Zeit zu orientieren und ihr Weltbild in Symbole zu fas­sen. Soweit decken sich die Ansichten Königs und Weilers.

Marie König deutete die Tierbilder und abstrakten Zeichen der Höhlenkunst wie die Malereien von Lascaux in Zusammenhang mit einem Mond­kalender. Weiler ist überzeugt, dass eine Kalenderordnung nach dem Mond aus den Felsbildern der Altsteinzeit nicht ablesbar sei. Die Höhlenmalereien zeugten allein davon, wie sehr das Sterben des Mondes die Menschen bewegt und zu spirituellen Deutungen herausgefordert habe. Weiler formuliert ihre Erkenntnis nicht nur Jahre nach König, sie kannte auch die Arbeit von Marija Gimbutas, deren Bücher in englischer Sprache vorlagen.

Marija Gim­butas betrachtet die alteuropäische Göttin als Schöpferin allen Lebens und ist überzeugt, ihre Kraft offenbare sich in Quellen und Bächen, im Mond, in Sonne und Erde und in allen Tieren und Pflanzen. Wohl­gemerkt: Die Göttin ist nicht der Mond, es ist ihre Kraft, die sich im Mond offenbart. Sie ist nicht per­sonifizierter Mond, also Mond­göttin, sondern Schöpferin des Mondes, und sie gebietet über seine Kraft.

Frau von LausselIn der Venus von Laussel dür­fen wir eben diese Göttin sehen. Das Halbrelief zeigt eine Frauen­gestalt, die in ihrer rechten Hand ein Horn mit dreizehn Einkerbungen trägt. Ihr Gesicht wendet sie dem Horn zu. Die dreizehn Kerben ste­hen für je dreizehn Nächte, an denen der Mond sichtbar zu- oder abnimmt. Dazwischen liegt die Vollmondnacht. In drei aufeinander folgenden Nächten bleibt der Mond unsichtbar, die Schwarzmond­phase beinhaltet den astronomischen Neu- bzw. Leermond. Das Felsbild stammt aus der Zeit zwischen 20000 und 18000 v.u.Z. und wurde in Eyzies, im Departement Dordogne in Frankreich gefunden.

Die Göttin ist keine Mondgöttin, sondern sie gebietet über die Mond­phasen.

Dass Höhlendarstellungen von Tieren wie Bisons, die von Pfeilen getroffen werden, nicht Jagdmagie zum Ausdruck bringen sollen, hat König richtig erkannt. Die horntragenden Tiere haben eine Symbolverbindung zum Mond; Mond­tiere, die vom Pfeil getroffen werden, zeigen also den sterbenden Mond.

Weiler gibt zu bedenken, immer wenn ein Mensch dem ster­benden Mondtier zugeordnet ist, handle es sich um einen Mann, nie­mals um eine Frau.

Die Kombination Bison-Mann begegnet uns im Charente- und Dordogne-Gebiet viermal. Dreimal in der Höhlen­kunst: In Le Roc-de-Sers befindet sich das älteste Zeugnis, das aus dem jüngeren Solutréen stammt, etwa 17000 v.u.Z., dann folgen Villars und Lascaux, die zwischen 15000 und 12000 angesetzt werden. Das vierte Beispiel ist in ein Objekt aus Rentiergeweih graviert.

Die Frage „Ist der Mond der Eiszeitkultur männlich oder weib­lich?", beantwortet Weiler unmissverständlich: „Eindeutig männlich ist der Mond, wenn ein Mann sich in ein Tier­fell kleidet und zum Mondtier wird. Er trägt die Hörner des Mondes und ist meist mit einem übermächtigen Phallus ausgestattet." (Vgl. auch Minotaurus, Kreta: Der Mann als Stier verkleidet – mit der Stiermaske – symbolisiert den Mond.)

König war (am Beispiel des Bildes im Brunnenschacht der Höhle von Lascaux) der Ansicht, der aufgerichtete Penis des Mannes sei als Zeichen seiner Potenz, neues Leben zu erschaffen, zu werten. Denn der Penis sei das einzige, das aktiv handelnd (allerdings ohne Partnerin) in Erscheinung trete.
Weiler betont dagegen, dass im Angesicht seines Todes nicht die Zeugungskraft des Mannes gefragt sei, sondern die Wiedergeburtskraft des Weiblichen. Die übergeordnete Macht, die Wiedergeburt verspricht, sei zweifellos weiblich. Und der Mann ist als Geschöpf der Göttin zu betrachten.

Der Mann in Lascaux ist somit identisch mit dem sterbenden Bison (auf der rechten Seite), aber auch mit dem Nashorn (auf der linken Seite), dessen Horn symbolisch für den Beginn des neuen Mondzyklus steht. Das Kultbild vermittelt das Mysterium des Todes und das Wissen um Wiederauferstehung entsprechend dem Wiedererscheinen des Mondes als neue Mondsichel.

Indem Weiler die Sterblichkeit des Mannes mit dem Sterben des Mondes in Verbindung bringt, benennt sie eine Weltsicht, die sich nahtlos in den sterblichen Mondgöttern der Bronzezeit fortsetzt.

Wie ließe sich in dieses Gedankengebäude die Beobachtung ein­fügen, dass Frauen dem Mondzyklus entsprechend menstruierten?

Demnach waren Frauen in der Phase des Schwarzen Mondes (sowie etliche Tage davor und danach) nicht empfängnisbereit. Das Abneh­men und Verschwinden des Mondes, sein Sterben, steht offensichtlich nicht in Verbindung zur realen Sterblichkeit. Weder sterben Männer oder Frauen vermehrt bei Leermond, noch sterben Frauen vermehrt, wenn sie menstruieren.

Wir können davon ausge­hen, dass die Menschen die Schöpferinnenkraft einer Göttin erkannten, die sie aus der Tatsache ableiteten, dass alles Leben durch Frauen oder weibliche Tiere in die Welt geboren wurde.

Wenn nun die Frauen bei Schwarzmond menstruierten, was tat dann die Göttin zu dieser Zeit? Sie menstruierte ebenfalls.

Der Ethnologe Robert Briffault fasst den Mond als Gatten der kosmischen Göttin auf. Und Weiler fügt hinzu, der Mond sterbe, wenn die Göttin menstruiert. Die Himmelsgöttin bewirke die Wie­dergeburt des Mondes. Das Männliche unterliege dem Rhyth­mus von Tod und Wiedergeburt. Die Himmelsgöttin allein sei ewig. Wenn sie menstruiere, ster­be sie nicht; aber der Mondgott sterbe, wenn sie blute.

Felsbild aus dem UralAls Beleg, dass die Frauen der Eiszeit den Mond abhängig von der kosmischen Göttin gesehen haben, führt Weiler ein Felsbild aus der Ignatiewskaja-Höhle im Ural an. Zwischen dem Bison, einem Mondtier, und der Göttin besteht eine kaum unterbrochene Linie aus Punkten, eine Verbindung zwischen der Göttin und dem männlichen Mond. Er stirbt, weil die Göttin menstruiert. Vielleicht kündet das Bild sogar vom eiszeitlichen Verhütungswissen der Frauen. Die fünf Punkte links und die vier Punkte rechts unter der Göttin könnten die Tage markieren, die die Frauen jeweils vor und nach der Mensis als empfängnisfreie Tage erkannt haben.

Vorläufig ist nur diese Darstellung bekannt, die den Gedanken nahe legt, dass Frauen ihren Zyklus berechnet haben. Weiler meint, eine Entwicklungsgeschichte des Mondsymbols, die den allmählichen Machtzuwachs des männlichen Prinzips spiegelt, erkennen zu können. Der Tote von Lascaux sterbe, um wiedergebo­ren zu werden. Er habe keine Macht über Leben und Tod, verkörpere weder den „Geist des Wachstums" noch die „Vegetation". Anheimge­geben an die Wiedergeburtskraft der Göttin, so trete uns der Mond­gott aus der Altsteinzeit entgegen.

Weiler sieht in der Indoeuropäisierung (gewaltsame Patriarchalisierung) Alteuropas durch wandernde Steppenvölker einen wichtigen Faktor für die Dominanz des Männlichen. Aber sie betrachtet die Differenz zwischen den sesshaften Sippen, die um die weibliche Lebensordnung gruppiert sind, und den Junggesellengruppen, die am Rand der Gesellschaft leben und wandern, weil sie nicht integrierbar sind, als Grundphänomen urzeitlicher menschlicher Lebensweise. Genau diese Differenz ortet Weiler nicht nur in den indoeuropäischen Kulturen, sondern in jeder urzeitlichen Kultur.

Die Eigenmacht des Mondgottes nimmt im Verlauf der Patriarchalisierung zu: Stand der Mond in der Frühzeit Ägyptens der Himmelsgöttin als Messinstrument zur Verfügung, so wird er im Lauf der patriarchalen Bewusstseinsentwicklung zum Herrn über die Zeit.

Der Bruch in der Symbolverbindung Mann-Mond wird durch das Aufeinanderprallen der alteuropäischen und der indoeuropäischen Kultur ausgelöst bzw. verstärkt. Dieser Bruch ist für Frauen, die sich eine feministische Betrachtungsweise angeeignet haben, höchst aufschlussreich. Denn er ist ein Symptom dafür, dass Frauen nicht mehr als Schöpferinnen wahrgenommen, sondern mit dem sterblichen Mond, der sein Licht passiv von der aktiven Sonne leihen musste, assoziiert wurden.

Beruhend auf diesem radikalen Verlust von Schöp­ferinnenqualität haben Frauen begonnen, sich mit dem Mond zu identifizieren.

Die Sonne war in der Kultur Alteuropas laut Marija Gimbutas ein Symbol der Lebenserneuerung und eine (unter vielen und nicht die wichtigste) Erscheinungsform der Göttin der Lebenserneuerung.

Die weibliche Form der Sonne in keltischen, germanischen, baltischen und slawischen Sprachen ist aus der Tradition des Alten Europa über­nommen. Demgegenüber ist in der indoeuropäischen Tradition die Sonne das wichtigste Symbol, das mit dem Gott des strahlenden Himmels assoziiert wird, der ein Jahresgott ist und die Geburt der Sonne (Winter), die junge Sonne (Frühling), die siegreiche Sonne (Sommer) und die alte Sonne (Herbst) symbolisiert. Den Wandel dieser Symbolbedeutung hat Barabara Hutzl-Ronge in Feuergöttinnen, Sonnenheilige, Lichtfrauen, (S. 90-149) beleuchtet.

Ihr Beitrag zum feministischen Diskurs über den Mond besteht darin, Fragen zu stellen und sie auf Grund mythologischen Materials zumindest teilweise zu beantworten:

  • Welche Kulturen betrachten einen Gott oder eine Göttin als Erscheinungsform des Mondes?
  • Wo gebiert die Göttin den Mond, gebietet über ihn und seine Kräfte?
  • Wo ist sie der Mond, wird als Personifikation des Mondes angesehen?
  • Wo hat die Göttin noch Schöpferinnenkraft, wo ist sie passives Geschöpf?
  • Wo kommt dem Mond bzw. der Mondgöttin nur mehr die passive, das Licht des männlichen Sonnengottes reflektierende Funktion zu?

Befreites Denken - Ein Wellenritt als persönliches Fazit

Während ich an den Mondkapiteln arbeitete, beschlichen mich einerseits Genugtuung, andererseits Furcht. Die Genugtuung ist schnell erklärt. Meine Annahme, dass Mondgötter mythengeschichtlich älter als ihre Kolleginnen Mondgöttinnen sind, bestätigte sich bei genauer Betrachtung des Materials.

Immer deutlicher traten mir Mondgötter aus den Mythen entgegen.

Auch hatte ich bemerkt, dass das Mondgöttinnendasein häufig einen Haken aufwies, der es nicht so richtig erstrebenswert machte, es fehlte ihm irgendwie an Göttlichkeit. Auch dies fand ich bestätigt. Die wenigen verbliebenen Mondgöttinnen ver­loren an Glanz, ihr Image bröckelte gewaltig.

Meine Furcht ist ebenfalls verständlich. In einer patriarchal orien­tierten Gesellschaft, deren Denken linear und deren Ziel es ist, schnellstmöglich von A nach B zu gelangen, ist der sich wandelnde Mond ein wunderbares Sinnbild für Frauen geworden, um zyklische Körpererfahrungen zum Ausdruck zu bringen.

Wenn wir zusätzlich in Betracht ziehen, dass das lineare Denken uns mit Riesenschritten auf einen ökologischen Kollaps zusteuert, dann ist der Wunsch nach einer zyklischen Betrachtungsweise - wie sie uns durch die Natur nahe gelegt wird - als Alternative überzeugend.

Trotzdem frage ich: Muss der Mond deswegen weiblich sein? Und fürchte, dass die Entrüstung der Frauen einer Welle gleich über mir zusammenschlägt, da sie so viele Gefühle und Träume mit einer Mondin verbunden haben.

Doch bevor eine Welle sich überschlägt, können Kundige - manchmal faszinierend lange - auf ihr surfen.

Wenn wir unsere Emotionen beiseite lassen, könnte uns gedanklich ein Wellenritt gelingen, der unser Denken befreit und uns ein entscheidendes Stück weiterbringt.

Meine geistige Surfausrüstung habe ich mir durch die astrologische Arbeit angeeignet. In der westlichen Astrologie herrscht nämlich die Auffassung, dass die männliche Sonne im Horoskop einer Person ihr Ichbewusstsein, ihren Geist und ihren Wesenskern symbo­lisiert. Wenn eine Frau ihr Ichbewusstsein stärkt oder ihrem Wesens­kern entsprechend sich entwickelt, dann bringt sie, logischerweise, männliche Energien - oft der „männliche Anteil ihrer Persönlichkeit" genannt - zum Ausdruck.

Der weibliche Mond hingegen symbolisiert unsere emotionalen Bedürfnisse und unsere Bedürftigkeit, das, was wir uns wünschen, geschenkt zu bekommen. Ist davon die Rede, dass ein Mann auf seine Bedürfnisse achten soll, dann heißt es im psy­chologisch-astrologischen Fachjargon schnell, er solle lernen, seine „weibliche Seite" zu leben.

Angesichts dieser Geschlechtszuweisungen sträuben sich mir nicht nur alle Nackenhaare, da protestiert vom Zeh bis zum Scheitel einfach alles. Beide Gestirne symbolisieren unterschiedliche Qualitäten, die Frauen wie Männer - je nach Zeichen- und Häuserstellung im Horo­skop - zum Ausdruck bringen möchten.

Wenn ich als Astrologin es schaffe, Sonne und Mond von ihrer Geschlechtszugehörigkeit zu be­freien, damit ich meinen KlientInnen in die Augen schauen kann, ohne - kritisch feministisch betrachtet - Unsinn zu verbreiten, müsste es auch nicht astrologisch geschulten Frauen möglich sein, darauf zu verzichten.

Mal ehrlich: Was bringt uns ein weiblicher Mond, der seine veränderliche Form ja nicht aus sich selber schafft, sondern als Resultat seines Standes zur Sonne zeigt?

Was ist toll daran, Weiblich­keit mit dem passiven, das Sonnenlicht reflektierenden Licht des Mondes zu identifizieren?

Haben da nicht schon wieder Männer die erstrebenswertere Identifikationsmöglichkeit mit der Bewusstsein ver­körpernden, aktiven Sonne, von deren Wärme alles Leben auf dieser Erde abhängt?

Gewönnen wir etwas, wenn wir die Geschlechtszu­weisung einfach umkehrten? Oder sollte sie nicht mehr notwendig, womöglich einfach nicht mehr zeitgemäß sein?

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 * Leermond – Für den nicht beleuchteten, den unsichtbaren Mond verwendet Barbara Hutzl-Ronge die Bezeichnung Leermond, um ihn von der neu erscheinenden Mondsichel, dem Neumond, zu unterscheiden.

Quelle:

Gekürzter Text aus Quellgöttinnen, Flußheilige, Meerfrauen, von Barbara Hutzl-Ronge mit eigenen Anmerkungen. Barbara Hutzl-Ronge bringt in ihrem Buch etliche Beispiele aus der Mythologie verschiedener Völker über die Mondsymbolik, die ihr im Buch selber nachlesen müsst :-)

Website: http://www.hutzl-ronge.ch/

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Mama ermunterte uns Mädchen bei jeder Gelegenheit "zur Sonne zu springen". Wenn wir auch nicht auf der Sonne landeten, so kamen wir immerhin vom Erdboden los.
Zora Neale Hurston

 

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